11.03.2010, 17:44 Uhr

Heidewirtschaft

Wie viele Heidelandschaften in Deutschland ist auch die Heideterrasse das Ergebnis jahrhundertelanger Heidewirtschaft

Bei Beweidungsprojekten wird mit robusten Hausrinderrassen versucht, den ausgerotteten Auerochsen als Landschaftsgestalter zu ersetzen.
© Justus Siebert
Lange vor der Industrialisierung, bereits in der Eisenzeit und der Antike, sehr einschneidend aber seit dem frühen Mittelalter hat der Mensch durch die Verfolgung großer Tierarten maßgeblich in die Landschaften Europas eingegriffen. Populär ist das im Falle der Raubtiere wie Luchs, Bär, Vielfraß oder Wolf. Im selben Maße gilt dies aber für deren Beutetiere, die Pflanzenfresser wie Wildpferd, Ur, Wisent, Wildesel, Rothirsch, Elch, Biber u.a., die unsere Landschaft prägten und gestalteten. Ob dadurch großflächige offene Landschaften wie in Teilen Afrikas oder wie in der letzten Warmzeit entstanden sind und noch bestehen würden, ist ein wissenschaftlicher Streitpunkt. Unstrittig ist aber inzwischen, dass Mitteleuropa entgegen der bisherigen Lehrmeinung nicht vollständig bewaldet wäre und der natürliche Wald sich deutlich von den seit Jahrhunderten bekannten Waldgesellschaften unterscheiden würde. Mehr zu diesem Thema hier

Ziegen und Schafe stellen heute aus Naturschutzgründen den Einfluss ausgestorbener wilder Pflanzenfresser auf der Heideterrasse nach
© Holger Sticht
Vor dem Hintergrund dieses Wissens erscheint verständlicher, warum die historische Kulturlandschaft, hervorgegangen aus den zahlreichen Praktiken der traditionellen Landwirtschaft, mit ihren Heiden, Nieder- und Hudewäldern so artenreich und deswegen heute wieder so schützenswert ist.

Die ersten größeren waldfreien Gebiete sind in der jetzigen Warmzeit aus der Zeit um 1200 n. Chr. belegt. Auf den gerodeten Flächen wurden dem Boden durch Weidewirtschaft, Plaggenhieb und Laubstreuentnahme kontinuierlich Nährstoffe entzogen, das Vieh verhinderte durch seinen Verbiss zusätzlich eine Erneuerung des Waldes. Landschaften wie die der Heideterrasse waren "Gemeen" (im süddeutschen ist der Begriff "Allmende" geprägt worden), zu hochdeutsch "Gemeindeheiden", d.h. sie konnten unter bestimmten Auflagen durch die Bürger der umliegenden Dörfer genutzt werden. Gegen Ende des 18. Jht. weideten bspw. in dem heute Wahner Heide benannten Gebiet, das tatsächlich aus zahlreichen verschiedenen Gemeen wie Linder Heide, Wolfsheide, Kielsheide, Urbacher Heide usw. besteht, phasenweise zwischen 2.000 und 3.000 Schafe und zwischen 2.000 und 2.500 Rinder. Nicht viel anders sah es im Königsforst aus, wo sich bis zum Verkauf ihrer Gewohnheitsrechte an den preußischen Staat im Jahre 1874 die Gemeindeheiden u.a. von Rath, Heumar und Forsbach befanden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreichte die Ausdehnung der offenen Heidelandschaft auf der Heideterrasse ihren Höhepunkt.

Traditioneller Plaggenhieb
© Oleg Woinoff
Beim Plaggenhieb wird mit einer speziellen Hacke, der Zwicke die Vegetation samt Wurzelwerk abgeschlagen, um eben diese Plagge (vergleichbar mit einer Sode) v.a. als Einstreu für die Ställe zu nutzen. Die genutzte Streu wurde dann als Dünger auf die Äcker gebracht. Bis zur Einführung des Kunstdüngers war dies eine gebräuchliche Methode im Ackerbau. Von der Heideterrasse ist außerdem die Schiffelwirtschaft überliefert, bei der die Plaggen getrocknet, aufgeschichtet und verbrannt wurden, um die Asche nachträglich als Dünger auf die neu entstandenen Ackerflächen auszubringen.
Beim Plaggenhieb wird der Rohboden völlig freigelegt, seltene, konkurrenzschwache Pioniergesellschaften und die zahlreichen, im Zuge der Sukzession (Vegetationsentwicklung) nachfolgenden Gesellschaften finden so für einige Jahre Lebensraum. Die populären Zwergstrauchheiden sind überwiegend auf diese Weise entstanden. 

Die Heidebewirtschaftung entspricht über Jahrhunderte entwickelten und an die naturräumlichen Gegebenheiten angepaßten Nutzungsformen. Weidewirtschaft, Holzeinschlag, Besenbinderei, Imkerei und Ackerbau formten ein Mosaik verschiedenster Lebensräume. Von Verödung, wie heute sogar in Lehrbüchern bisweilen noch beschrieben, kann zumindest im Falle der Heideterrasse und aus ökologischer Sicht keine Rede sein. Die alten Kartenwerke überliefern, dass nie mehr als 50 Prozent der heutigen Wahner-Heide-Fläche waldfrei waren.
Die Vorteile der Heidewirtschaft, die man heute im Naturschutz versucht gezielt nachzustellen, entwickelten sich nicht planvoll oder aus irgendwelchen Vernunftsgründen. Es geschah vielmehr aus der Not heraus, möglichst alle Ressourcen, die die Landschaft bot, nutzen zu müssen.

Strauchartige Baumformen zeugen noch heute von der traditionellen Niederwaldwirtschaft
© F. Täufer

Ein Beispiel für die nachhaltige traditionelle Nutzung der Wahner Heide war der Wacholderbestand.
Die Troisdorfer Waldgesetze, die sich die Bᄐrger des Gebiets des Altenforstes (ungefähr heutiges Rhein-Sieg-Kreis-Gebiet der Wahner Heide) selbst auferlegt hatten und bewachen ließen, regelten, wer wann wo was aus der Landschaft entnehmen durfte. So wurde der Wacholder über Jahrhunderte hinweg nachhaltig genutzt und erhalten. Es ging auch nicht anders, denn der Wacholder war wichtig (Beeren als Gewürz- und Heilmittel, Holz zum Räuchern und Drechseln, Anlage von "Vogelherden" zum Vogelfang), und eine intensive Ausbeutung hätte das Versiegen dieses recht langsam nachwachsenden Rohstoffes bedeutet.
Erst als der preußische Staat Ende des 19. Jht. große Teile der Wahner Heide aufkaufte und die Nutzungsrechte der Bevölkerung entfielen, wurde der Wacholder innerhalb kurzer Zeit ausgerottet: durch Bewaldung in Folge fehlender Heidewirtschaft und weil der neue Besitzer die Bestände für Geld plündern und mit Kiefern aufforsten ließ.